Trends digitals

«Es geht nicht darum Menschen zu entlassen, sondern unproduktive Arbeiten an Maschinen zu delegieren»

Von Michèle Ullmann

20.06.2022

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In dieser Ausgabe geht es um die Integration von Menschen mit Behinderungen in die digitale Welt. Josy Battaglia und Selina Liver von der Organisation “MOVIMENTO” beantworten Fragen, wie sie die Situation in Graubünden sehen und was es für diese Zielgruppe zu beachten gilt.

 

Gibt es eine Branche, die aus eurer Sicht besonders vorbildlich ist?

Josy Battaglia: “Ich würde nicht sagen, dass es Branchen gibt, die dem Thema der digitalen Integration von Menschen mit Behinderungen mehr Aufmerksamkeit schenken als andere. Hier und da kann man gute Beispiele sehen. Die Digitalisierung birgt jedoch ein großes Potenzial für die Inklusion, gerade der schwächsten Menschen in unserer Gesellschaft, und ich denke, es liegt daher an jedem von uns, in vielen verschiedenen Bereichen darüber nachzudenken, welche Vorteile wir haben könnten, wenn auch Menschen mit Behinderungen unterschiedlichster Art Zugang zu Informations- und Kommunikationstechnologien hätten.”

 

Was sind die größten Herausforderungen bei der Integration von Menschen mit Behinderungen in die digitale Welt?

Selina Liver: “Technologie hat das Potenzial, sowohl einzubeziehen als auch auszuschließen. Defizite in der Medienkompetenz können die Ursache für soziale Benachteiligung sein. Menschen mit Behinderungen sind von vornherein benachteiligt, da sie oft nicht über die finanziellen Mittel verfügen, um sich digitale Geräte zu leisten. Außerdem verfügen viele nicht über ausreichende Medienkompetenz, um die Vorteile der digitalen Angebote zu nutzen. Gleichzeitig wird letzteres leider oft nicht den Bedürfnissen aller gerecht. Die Vielfalt, die Menschen mit Behinderungen kennzeichnet, und die Bedürfnisse, die sie im Bereich der digitalen Technologien haben, erfordern flexible und maßgeschneiderte Angebote und Ansätze. Und schließlich sollte eine positivere Einstellung der Sozialarbeiter gegenüber der Technologie gefördert werden, die in der Regel wenig Begeisterung für sie zeigen.”

 

Was müssen die Projektleiter und Entwickler eines digitalen Projekts beachten?

Selina Liver: “Zu Beginn ist es notwendig, ein Konzept zu definieren, das als Grundlage für die Umsetzung des Medienangebots und welche Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) innerhalb der technischen Einrichtung zur Anwendung kommen. In diesen Leitlinien wird die Haltung der Institution gegenüber der Nutzung von IKT durch die Nutzer festgelegt. Dort sollen das Handlungsfeld und mögliche Themenschwerpunkte aufgezeigt sowie konkrete Angebote und Umsetzungsräume skizziert werden. Bei dieser Arbeit ist es wichtig, die rechtliche Grundlage für den Einsatz von IKT in der Einrichtung zu schaffen (siehe die von INSOS erstellte Musterverordnung). Nach dieser Arbeit sollten das Konzept und die Verordnung den Familienangehörigen und gesetzlichen Vertretern zur Information vorgelegt werden. Dann ist es wichtig, dass den Nutzern digitale Werkzeuge und Ressourcen zur Verfügung stehen, und zwar auf der Ebene von geschultem Personal, das ihnen bei ihrer digitalen Entdeckung behilflich sein kann, und von Fachleuten auf dem Gebiet des technischen Wissens. Und nicht zuletzt brauchen wir Mittel für Investitionen und Entscheidungen, um all dies zu ermöglichen.”

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Was tun Sie und/oder der Kanton Graubünden, um diese Integration zu fördern?

Josy Battaglia: “Konkret haben wir uns als Institution dazu entschlossen, Zeit, Geld und Personal in die Förderung dieses Ausbildungsvorschlags und -angebots für die Nutzer unseres Unterstützungsdienstes zu investieren. Wir haben entschieden, dass dieses Projekt Vorrang vor anderen Projekten hat, die nicht direkt im Rahmen des Leistungsauftrags des Kantons finanziert werden, sondern oft durch Mittel und Spenden von Privatpersonen. Der Kanton Graubünden war der erste, der unsere Initiative angenommen hat, und wir hoffen, dass er nun, nachdem er von den Ergebnissen dieses Projekts erfahren hat, unsere Überlegungen im Rahmen bemerkenswerter Projekte im Hinblick auf die UNO-Behindertenrechtskonvention (UNO-BRK) weiterverfolgt und auch in Zukunft Unterstützung zusichert, vielleicht durch gezielte Förderung und Unterstützung innovativer Projekte.”

 

Erleichtern digitale Hilfsmittel das Leben von Menschen mit Behinderungen oder erschweren sie es?

Selina Liver: “Die Digitalisierung unserer Gesellschaft ist eine Herausforderung für alle, die sowohl Chancen als auch Risiken birgt. Dennoch ist sie heute ein fester Bestandteil der Gesellschaft. Die Förderung der Inklusion von Menschen mit Behinderungen, wie sie auch in der CDPD definiert ist, ist daher ohne die Förderung der Medienkompetenz in der sozialpädagogischen Arbeit nicht denkbar. Digitale Medien tragen dazu bei, die Unabhängigkeit von Menschen mit Behinderungen zu erhöhen. Sie können neue Dimensionen der Kommunikation unterstützen oder sogar erst ermöglichen. Digitale Werkzeuge bieten daher die Möglichkeit, Barrieren zu überwinden und eine integrative Teilnahme an der heutigen Gesellschaft zu ermöglichen. Wenn es nicht mehr möglich ist, auf digitale Werkzeuge zu verzichten, müssen wir die Medienkompetenz von Menschen mit Behinderungen fördern, ihnen die Mittel und das Wissen vermitteln, um sie sicher zu nutzen, und auf diese Weise auch die notwendige Prävention betreiben.”

 

Was sollte Ihrer Meinung nach noch getan werden, um die Integration zu fördern?

Selina Liver: “Das Interesse und die Neugierde, die die heutigen digitalen Technologien in uns allen wecken, haben ein großes Potenzial für die sozialpädagogische Arbeit, und in diesem Sinne sollte das Angebot unbedingt ausgebaut werden. Damit auch Menschen mit Behinderungen gleichermaßen von den digitalen Technologien profitieren können, sollten diese für alle zugänglich sein. Barrierefreie Websites, in einfacher Sprache, mit klarem Inhalt und lesbarer Schrift, einfaches Webdesign mit Bildern und Multimedia (siehe zum Beispiel einfachsurfen.ch). Kurzum, sensibilisieren Sie die Gesellschaft unermüdlich für die Möglichkeiten der IKT für Menschen mit Behinderungen. Förderung der Ausbildung, um die Medienkompetenz von Menschen mit Behinderungen zu verbessern. Machen Sie Projekte wie unseres sichtbar, sowohl auf Plattformen für soziale Arbeit als auch auf solchen, die der digitalen Welt gewidmet sind.”

 

Über MOVIMENTO Poschiavo

Movimento Poschiavo ist eine Institution, die sich um die Bedürfnisse und Interessen von rund fünfzig behinderten Menschen mit psychischen, geistigen (seelischen) und körperlichen Beeinträchtigungen kümmert, die im Valposchiavo leben. Angebote zur Arbeits-, Berufs- und Wohnungsintegration werden durch die Begleitung von rund zwanzig Mitarbeitern sichergestellt.

Selina Liver (Bachelor in klinischer und sozialer Heilpädagogik von UNIFRI) ist seit August 2019 Sozialarbeiterin in der geschützten Werkstatt und Mitarbeiterin in der pädagogischen Abteilung von MOVIMENTO Poschiavo.

Josy Battaglia (Bachelor in Sozialer Arbeit der SUPSI) ist seit Oktober 2014 Leiterin von MOVIMENTO Poschiavo.

 

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